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Zwischen Abschreckung und Abkommen

Der östliche Mittelmeerraum bleibt ein Brennpunkt der europäischen Migrationspolitik. Eine vergleichende Analyse, basierend auf Untersuchungen in Ägypten, im Libanon, in Griechenland und Zypern.

Seit den frühen 2000er Jahren gilt der östliche Mittelmeerraum als zentrales Transitgebiet für Geflüchtete, Migrant_innen und Asylsuchende aus dem Nahen Osten, Afrika und Asien auf dem Weg nach Europa – hauptsächlich über die Türkei, zunehmend aber auch über den Libanon, Ägypten und Libyen. Länder wie Griechenland und Zypern stehen aufgrund ihrer geografischen Lage besonders im Fokus migrationspolitischer Entwicklungen und sind wachsendem Druck ausgesetzt. Die politische Gesamtsituation in der direkten EU-Nachbarschaft sowie in den Herkunfts- und Transitstaaten unterliegt einem anhaltenden und tiefgreifenden Wandel: anhaltende Konflikte in Syrien und Afghanistan, der Krieg in Gaza, wirtschaftliche Notlagen in Ägypten, Militärputsche in Afrika sowie die zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels. In dieser Gemengelage treten im östlichen Mittelmeerraum die migrationspolitischen Herausforderungen und Strategien Europas besonders deutlich zutage. Auch wenn die Zahl der Geflüchteten auf den meisten Routen zurückgeht, wagen sich gerade auf dem gefahrvollen Weg durch den östlichen Mittelmeerraum immer mehr Menschen.

Um die aktuelle Situation zu analysieren und einen umfassenden Überblick zur Migration im östlichen Mittelmeerraum zu geben, hat die Friedrich-Ebert-Stiftung gemeinsam mit ihren Partnerorganisationen – dem PRIO Cyprus Centre, dem Issam Fares Institute for Public Policy and International Affairs sowie der Hellenic Foundation for European & Foreign Policy (ELIAMEP) – eine vergleichende Analyse (auf Englisch) erarbeitet. Diese basiert auf Untersuchungen in Ägypten, im Libanon, in Griechenland und Zypern.

Ziel des Projekts ist es, die Perspektiven von Transit- und Aufnahmeländern – als Zielorte gemischter Migrationsbewegungen – zusammenzuführen und eine Momentaufnahme aktueller Entwicklungen und Gegebenheiten im Migrationskorridor des östlichen Mittelmeerraums zu liefern. Die ausgewerteten Länderberichte zeigen trotz unterschiedlicher nationaler Kontexte auffällige Parallelen: insbesondere im Hinblick auf die Reaktionen auf migrationsbedingte Herausforderungen für sozioökonomische Stabilität, Klima und Sicherheit – sowohl in der Region als auch darüber hinaus. In allen vier Ländern spielt die EU dabei eine zentrale Rolle. Im Rahmen ihrer außenpolitischen Dimension strebt sie an, sowohl Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen wie Zypern und Griechenland als auch angrenzende Staaten wie Ägypten und den Libanon zu unterstützen – und erwartet zugleich, dass diese Staaten eine „Gatekeeper“-Funktion übernehmen. Die Berichte analysieren, wie diese Partnerschaften die migrationspolitischen Entscheidungen vor Ort prägen.
 

Zentrale Erkenntnisse


Migrationstrends im östlichen Mittelmeerraum

Die Region bleibt eine der Hauptmigrationsrouten für Geflüchtete und Arbeitsmigrant_innen aus dem Nahen Osten, Afrika und Asien. Die Migration aus Ägypten nimmt weiter zu: 2022 erreichten 20.000 ägyptische Staatsangehörige über Libyen Italien – fast genauso viele wie im Vorjahr. In Ägypten leben derzeit etwa 1,2 Millionen sudanesische Geflüchtete, während der Libanon eine massive Abwanderung erlebt: Zwischen September und Oktober 2024 flohen rund 440.000 Menschen – überwiegend Syrer_innen und Libanes_innen – nach Syrien. Griechenland verzeichnete 2024 mit 52.052 Neuankömmlingen einen neuen Höchstwert, während in Zypern die Zahlen rückläufig sind – hauptsächlich aufgrund verstärkter Grenzkontrollen in Zusammenarbeit mit Frontex sowie der Aussetzung von Asylverfahren für syrische Geflüchtete, die zuvor den Großteil der Ankünfte per Boot ausmachten.


Externe Migrationspolitik und Abkommen der EU

Die EU baut ihre migrationspolitischen Kooperationen mit Ägypten und dem Libanon aus und verknüpft finanzielle Unterstützung mit der Erwartung effektiven Grenzmanagements. So stellte die EU Ägypten 2024 ein Paket im Umfang von 7,4 Milliarden Euro in Aussicht, von dem 200 Millionen explizit für das Migrationsmanagement vorgesehen sind. Der Libanon erhielt 1,03 Milliarden Euro zur Stärkung der Grenzsicherung und zur Unterstützung grundlegender Dienste. Migration wird dabei zunehmend in umfassendere Partnerschaften eingebettet – etwa in den Bereichen Wirtschaft, Handel, grüne Energie, Sicherheit und institutioneller Kapazitätsaufbau. Im Gegenzug sollen die Partnerländer irreguläre Migration eindämmen und Rückführungen ermöglichen.


Abschreckung und Grenzüberwachung

Griechenland und Zypern intensivieren ihre Grenzkontrollen durch Pushbacks, Abschiebungen und restriktivere Asylpolitiken. 2023 wies Zypern den höchsten prozentualen Anteil an Rückführungen aller EU-Staaten auf und belegte auch in absoluten Zahlen Rang vier. Griechenland reagiert mit zusätzlichen Grenzzäunen, Rückführungen und verschärften Asylgesetzen, insbesondere seit dem Anstieg der Ankünfte im Jahr 2019. Das damals verabschiedete „Gesetz über internationalen Schutz“ vereinfacht Asylverfahren, beinhaltet jedoch auch Strafmaßnahmen und wird von Menschenrechtsorganisationen für den Abbau von Schutzstandards und den erhöhten Verwaltungsdruck kritisiert. Auch Ägypten und der Libanon verschärfen ihr Vorgehen. Im Libanon verfügten 2023 lediglich 20 Prozent der syrischen Geflüchteten über eine gültige Aufenthaltsgenehmigung – viele sind somit akut von Abschiebung bedroht.


Sozioökonomische und politische Migrationsursachen

Anhaltende Krisen in Syrien, im Sudan und in Gaza sowie die sich verschlechternde Wirtschaftslage in Ägypten und im Libanon gehören weiterhin zu den zentralen Migrationsursachen. In Ägypten lebten 2018 über 32 Millionen Menschen in Armut. Im Libanon gaben in der achten Erhebung des Arab Barometer (2024) 36 Prozent der Befragten an, auswandern zu wollen; 17 Prozent wären bereit, dies auch ohne legalen Aufenthaltsstatus zu tun. Der Mangel an sicheren und legalen Migrationswegen zwingt viele Menschen dazu, lebensgefährliche Routen zu wählen. Klimakrise und Ressourcenknappheit erhöhen den Migrationsdruck zusätzlich.


Zur Person

Hubert Faustmann ist Professor für Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Nikosia und seit 2011 Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung auf Zypern. Seine Forschungsschwerpunkte sind die britische Kolonialzeit, die Geschichte und Politik Zyperns seit der Unabhängigkeit sowie Klientelismus und politische Patronage im östlichen Mittelmeerraum.

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